das Rätsel der Erdställe
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P. Lambert Karner Franz Kießling Karl Schwarzfischer Franz Jantsch
Karl Lukan Manfred Macek Rupert Leutgeb Hans Falkenberg

.............ich habe nämlich derartige Höhlen bereits weit über hundert constatiert, gesehen und topographisch aufgenommen............Ich nenne diese künstlichen Höhlen merkwürdige Bauten, und sie sind es in der That; denn ich habe in denselben Detailerscheinungen beobachtet, die einfach erzählt und wenn nicht auf Thatsachen beruhend, fast märchenhaft klingen würden; .............die "Erdställe", oder besser gesagt, die "künstlichen Höhlen" bilden im Grossen und Ganzen ein System von "Gängen" und "Kammern". Unter diesen "Gängen" darf man sich aber keineswegs hohe und breite Räumlichkeiten vorstellen, in denen man bequem fürbass schreiten kann, nein, es sind schlauchförmige Canäle, in denen man meist nur "auf allen Vieren", oder auf dem Bauche liegend sich vorwärts bewegen kann. Nur in sehr seltenen Fällen kann ein erwachsener Mann völlig aufrecht gehen, und solche Strecken sind in der Regel nur sehr kurz, da die Gangdecke sich alsbald wieder erniedrigt. Die durchschnittliche Höhe dieser Gänge beträgt 0,6 bis 0,8 Meter, die Breite 0,5 bis 0,6 Meter. Es giebt aber auch Gangpartien, die nur 40 Centimeter breit und entsprechend hoch sind.........Die "Gänge" vermitteln die Verbindung unter einander und mit den "Kammern". Letztere sind Räumlichkeiten, deren Grundriss entweder ein Recht- oder Viereck bildet....Die Mehrzahl der Kammern ist 2 bis 3 Meter lang, 1,5 bis 2 Meter breit und 1,6 Meter hoch; über 2 Meter steigt die Höhe äusserst selten. Das Deckengewölbe der Kammern ist ebenso, wie das der Gänge entweder gerundet, oder spitzbogig.......Was nun die Richtung der Gänge und ihre Verzweigungen anlangt, so liegt auch trotz des mannigfaltigen Wechsels darin ein eigenes System. Die Gesamtanlage der Bauten, sowie die Richtung des Hauptganges ist in den meisten Fällen von Süd zu Nord. Ein charakteristisches Merkmal besteht darin, dass, wo die Bauten in ihrer ursprünglichen Form erhalten sind, der Eingang stets in die Tiefe abfällt, und nicht selten so steil, wie ein Dach; derartige Eingänge sind in der Regel nicht grösser, als dass man, nur der Länge nach gestreckt liegend, sie passieren kann; am bequemsten geschieht das mit den Füssen voraus. In der Tiefe läuft dann der Gang, an der Decke erhöht, entweder noch eine Strecke gerade fort, oder mündet in einen Quergang. Laufen die Gänge horizontal fort, so springen sie urplötzlich im rechten Winkel um, oder richten sich in den verschiedensten Winkeln auf- oder abwärts; wieder bilden sie Schlangenlinien, oder schwenken im langen Bogen nach rechts oder links, ziehen sich durch die Kammern hindurch, und unvermutet befindet man sich wieder an einer Stelle, an der man schon gewesen. Oft spaltet sich ein Gang in zwei, drei und mehr, und verfolgt man sie in gespannter Erwartung weiter, so treffen sie entweder wieder zusammen oder führen in Kammern, die entweder für sich abgeschlossen sind, oder aus denen wieder ein oder mehrere Gänge nach den verschiedensten Richtungen abzweigen. Nicht selten biegt ein Gang ein- oder zweimal im rechten Winkel um und steigt dabei aufwärts, oder fällt in die Tiefe ab; diese Gangteile sind aber in der Regel so enge, dass man sie nicht anders passieren kann, als wenn man, sich auf die Seite legend, Körper und Bauch einziehend, der Winkelform anpasst und sich so durchwindet. Solche Gangformen münden immer in eine Kammer; diese Kammern, deren Zugang sich so beschwerlich gestaltet, sind stets von hervorragender, ausserordentlicher Gestalt und Form. In Röschitz.....stand ich in einer prachtvollen, kapellenartigen Schlusskammer. Hier befindet sich auch viermal die gewiss nicht bedeutungslose Erscheinung, dass ein Gang fünfmal im Winkel umbiegt und ein regelmässiges Fünfeck beschreibend wieder in sich zurückläuft. ......Eine andere merkwürdige Erscheinung ist die, dass die Gänge zu Brunnen führen, dann entweder bei denselben enden oder, den Brunnenschacht überspringend und durchkreuzend, auf der gegenüberliegenden Seite wieder in die weiteren Verzweigungen des Erdbaues fortführen..........die bei uns in allen grösseren Bauten in den Gängen und Kammern ausgeprägte Kreuzform veranlassen mich,......darüber meine Ansicht auszusprechen. Nach den Erklärungen der Archäologen war die Kreuzform allen Völkern und Nationen der Erde bekannt und hatte überall eine geheimnisvolle, symbolische Bedeutung. "Das Tau ist der letzte Buchstabe des hebräischen Alphabets; es hatte in der ältesten Zeit die Gestalt eines Kreuzes, welches in der Geheimlehre der Aegypter und anderer alten Völker das Sinnbild des Lebens war." .......Findet sich nun in unseren heimischen Höhlen das Tau oder die Kreuzform? Ich antworte mit einem entschiedenen Ja. .....in allen grösseren Bauten wird man Gangformen finden, die genau die Form des.....Tau besitzen.............Ein weiteres Charakteristikum in unseren Höhlenbauten sind die "Geräth- oder Urnennischen". Ihr Vorkommen beschränkt sich fast ausschliesslich auf die Kammern, doch auch in Gängen werden sie beobachtet;......in der oben erwähnten spitzbogigen Kammer zu Röschitz....befinden sich, man erlaube mir das Wort, "prachtvolle" Nischen in auffallender Anordnung........so spreche ich....meine Ansicht dahin aus, dass unsere künstlichen Höhlen zum Zwecke irgend eines Cultes ausgegraben und errichtet wurden......stimme ich mit F. S. Hartmann’s Urteil überein, der da schreibt:" Jedem, der solche Gänge betreten, ihre Verzweigungen durchforscht hat und in ihre geheimen Kammern gedrungen ist, dürfte der Eindruck geblieben sein, dass sie aus uralter Zeit stammen und einem Volke angehören müssen, welches schon vor dem Einbruche der Römer diese Landstriche bewohnte."

P. Lambert Karner, Künstliche Höhlen in Niederösterreich, in: Blätter des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich 18 (1884), S. 122-155.

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Nichtsdestoweniger erscheinen sie den wenigsten Besuchern, soweit sie nicht voreingenommen sind, als Zufluchten, sondern machen auf sie einen geheimnisvolleren Eindruck, da die in sozusagen unbedingte (absolute) Finsternis getauchten Räume......häufig bloß durch ein mehr oder minder weit gähnendes, schwarzes Loch zugänglich und zum großen Teile nur in gebückter Stellung, oder gar kriechend, zu besichtigen sind.....Die Erdställe nun, sind weder zur Zeit des "Schweden"-, noch eines anderen Krieges der geschichtlichen Zeit des Waldviertels erbaut worden; denn sonst wäre der Anlage solcher absonderlicher Bauwerke, die für jedermann, der von ihnen irgendwie Kenntnis erhalten haben würde, höchst bemerkenswert gewesen wären, irgendwie oder irgendwo, Erwähnung getan worden; das ist nun nirgends der Fall......man kann sonach als sicher annehmen, daß die Erdställe....in einem Zeitabschnitte entstanden waren, bevor noch die jeweils als ältest angesehene Urkunde eines Ortes mit Erdställen, diesen namhaft macht......Pfarrer Lambert Karner.......gelang es, im Laufe eines Menschenalters, in Niederösterreich und angrenzenden Gebieten, über 300 Erdställe in Erfahrung zu bringen, die sich aber in überwiegendster Mehrheit im Viertel unter dem Manhartsberge befinden und von denen er einen ansehnlichen Teil persönlich studierte......daß ich bei meinen Untersuchungen nur das niederösterreichische Waldviertel in Betracht zog........Die im Waldviertel vorhandenen Erdställe sind zumeist im sogenannten Flins, einer ziemlich mürben, tonigen Art von Quarz- und Glimmerschiefer angelegt, während die im Viertel unter dem Manhartsberge im Löße ausgegraben wurden. Die überwiegende Mehrzahl der Waldviertler Erdställe unterscheidet sich.....hauptsächlich dadurch, daß sie nebst einem mehr oder minder gerade ziehenden Zugange und einer oder mehreren meist halbrunden Kammern, einen sozusagen als kennzeichnend (typisch) zu erachtenden, in sich selbst zurückkehrenden Rundgang, der um eine Felsspindel herumlauft, ausweisen......Die Erdställe sind ursprünglich nicht zu dem Zwecke angelegt worden, um als "Verstecke in Kriegszeiten" zu dienen, wenn sie auch die Möglichkeit boten, daß sich Menschen vorübergehend darin zurückziehen konnten. Dagegen spricht schon die ganze Anlage selbst, da die Eingeschlossenen, wenn der Feind einmal das Vorhandensein solcher Zufluchten in Erfahrung gebracht hätte.....die Versteckten wie in einer Falle gesessen wären, aus der man sie mittels ein paar angezündeter Reisigbündeln, vor den Höhlenzugang gelegt, ersticken könnte. ....Wer aber meint, daß man es mehrere Tage lang, fast bewegungslos, in den häufig wasserführenden Erdställen des Waldviertels, ohne Feuer, aushalten könne, möge erst den Versuch machen.....Daß man aber so umständlich und absonderlich gestaltete Anlagen auch nicht herstellte, um bloß "Wertsachen" zu verbergen, wie ein Schriftsteller meinte, bedarf keiner weiteren Widerlegung.....Die Erdställe sind ursprünglich auch nicht als Keller- oder Vorratsräume angelegt worden, da sie als solche, in ihren engeren Teilen wirtschaftsmäßig gar nicht benützbar wären und der moderige Geruch und die Bedingnisse für Schimmelbildung, schon von vorneherein dagegen spricht.....Die Herstellung eines auch nicht allzu umfangreichen Erdstalles, nicht bloß im "Flins", sondern auch im Löße, ist eine derartig zeitraubende und die Kräfte des Arbeitenden erschöpfende, daß sich nur derjenige davon eine Vorstellung machen kann, der, durch irgend welche Grabarbeit, mit diesen beiden Gesteinsarten nähere Bekanntschaft gemacht hat......Ganz abgesehen davon, daß man sich, zu allen Zeiten, derartige Zufluchten abseits von der dem Feinde kenntlichen Wohnstätte zurecht machte, also im Dickichte der Wälder, in verborgenen Talgründen, Schluchten oder Felswinkeln, so wäre auch bei der voraussichtlichen Zerstörung der zumeist über dem Verstecke angelegten Behausung, infolge des zusammengestürzten Holz- und Mauerwerkes, der Aus-, bzw. Eingang des Versteckes unbenützbar geworden.......Diese Gänge....konnten nur von Menschen hergestellt worden sein, die so schmächtig waren, daß sie nicht bloß Raum für ihren schulterbreiten Körper, sondern auch noch beiderseits Platz fanden, um das Hiebwerkzeug zu gebrauchen.....Ein solcher Arbeiter konnte aber nur von zwerghaftem Körperbaue sein..... Da nun eine zwergenhafte Bevölkerung in dem Teile Europas, in den das Verbreitungsgebiet der Erdställe fällt, in geschichtlicher Zeit nicht bestand, so können die Erdställe nur aus vorgeschichtlicher Zeit stammen, aus jenem Zeitabschnitte, aus dem in Höhlen Gerippe von erwachsenen Menschen aufgefunden wurden, die man als echte Zwerge, mit einer Körpergröße bis 150 Zentimeter, erkannt hat. Die Zeit, in der diese Zwerge gelebt haben, war die des Überganges der jüngeren Stein- in die Kupfer-, bzw. Erzzeit, also etwa 2500 bis 2000 vor Christi......Die vermutlich durch die bronzezeitliche Menschheit den Menschen der Eisenzeiten, also auch den Germanen, übermittelten zahlreichen Sagen, die von kunstfertigen, unterirdisch hausenden Zwergen (Bergmanderln, Wichtel- und Heinzelmännlein, Kobolden und sonstigen Erdgeistern oder Schwarzalben u. dgl.), erzählen (und die oft plötzlich in den Erdboden oder in Felslöcher verschwinden), beruhen auf verdunkelten Überlieferungen von dem Zusammentreffen der vorgeschichtlichen Menschen der ältesten Metallzeit mit dem alteuropäischen Zwergvolke, das, wie erwähnt, durch mannigfache Gerippreste nicht bezweifelt werden kann......Es wäre auch vergebliche Hoffnung, aus einem bereits bekannten Erdstalle Belege zu erwarten, die auf den ursprünglichen Zweck der Bauwerke einen sicheren Schluß zulassen. Denn, seit sie von ihren vermutbaren Erbauern verlassen wurden, waren die zugänglich gebliebenen Höhlen den eingehendsten Untersuchungen aller nachfolgenden Menschengeschlechter ausgesetzt.......Daher sind wir nur auf den Zufall angewiesen, daß irgendwo ein Erdstall erschlossen wird, bei dem man annehmen kann, daß er bis dahin völlig undurchforscht geblieben ist. Daher sind auch Verfassers Hinweise auf den ihm wahrscheinlichen ursprünglichen Zweck der Erdställe, als Orte irgend eines Totenkultes, noch nicht als unumstößliche Behauptung aufzufassen, obgleich manche Erfahrungen hiefür sprechen.

Franz Kießling, Über das "Rätsel der Erdställe". Ein Beitrag zur Kennzeichnung des Wesens, vermutlichen Alters und ursprünglichen Zweckes dieser künstlichen Höhlen, Wien 1925.

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Heute ist die Bezeichnung "Schraz" oder "Schrazel" im wesentlichen auf die Oberpfalz und auf den Bayerischen Wald eingeengt. In den althochdeutschen Glossen erscheint "scrato, scraz" als Übersetzung von pilosi (haarige Berggeister). Auch der Feld- und Waldgott faunus wurde dem Schratten gleichgestellt.........tragen die Zwerge so mannigfache und deutliche Totenzüge an sich, daß sie ebenso stark als Toten-, Ahnen- und Seelengeister, wie auch als Naturgeister anzusprechen sind. Späterer Einfluß erst verdrängte die Zwerge ins Teuflische oder stempelte sie zu Heiden. Die Zwerge werden im Volksglauben so menschlich geschildert, daß es sich nur um abgeschiedene Seelen der Ahnen handeln kann.......Wo natürliche Höhlen für den Aufenthalt der Totengeister fehlen, wurden für den Ahnenkult künstliche Höhlen geschaffen........Wohl hatte man bisher nicht übersehen, daß die künstlichen Höhlen mit Zwergnamen verbunden sind. Fälschlicherweise dachte man aber an Zwergrassen, ähnlich der heute noch in Zentralafrika lebenden Pygmäenstämme. Da es solche Zwergvölker in Europa nicht gegeben hat, schenkte man all dem weiterhin keine Beachtung. In Wirklichkeit beziehen sich die Höhlenbezeichnungen auf die mythischen Zwerge, die sich eindeutig als Totengeister erweisen. Wenn nun die merkwürdigen Schrazellöcher den Namen von diesen Totengeistern haben und eine große Anzahl von Sagen diese Zwerge in ihnen hausen läßt, dann ist die Schlußfolgerung einer Deutung als Totenkultstätte gewiß berechtigt.....Sicher aber haben die Schrazellöcher nicht als Grabstätten gedient, denn vergeblich suchte man bisher nach Überresten von Gebeinen oder Leichenbeigaben. Doch konnte Ahnenkult auch dort getrieben werden, wo man die Seelen der Verstorbenen vermutete. Neben der Vorstellung, daß der Tote als "lebender Leichnam" in seinem Grabhügel fortlebt, hat sich früh der Glaube entwickelt, daß der Tote an einem anderen Ort weiterlebt. Der Volksglaube versetzte das Reich der Toten in den Berg. Darum setzte man den Ausspruch "in den Berg gehen" mit Sterben gleich......Der Aufenthalt im Zwergenreich wird dem Aufenthalt im Totenreich gleichgesetzt........Die wichtigste und wohl älteste Bezeichnung der Zwerge ist "Schraz"......Als Urwurzel von Schraz ist die Silbe "ra" zu erkennen.....Es fällt auf, daß sich in zahlreichen Orten, deren Bestimmungswort von Zwergen abgeleitet ist, Schrazellöcher befinden. Gerade in den klein gebliebenen Siedlungen kann man wohl mit Recht annehmen, daß die Schrazellöcher Anlaß zur Bezeichnung der neuen Wohnstätte waren. Die Siedler wußten um den Sinn dieser Stätten. Ja, manche Niederlassung hat unmittelbar von den Schrazellöchern den Namen bezogen. .......z. B. zu Retz: schretzl = Zwerg; Schletz: schlatzenleute = Schrazen; Stratzing: straz = Schraz u. s. w.......Die Schrazellöcher können infolge ihrer Fundarmut zeitlich nicht genau bestimmt werden. Doch muß angenommen werden, daß sie als Kultstätten der vorchristlichen Zeit angehört haben.....Die unendliche Mühe, die der Bau der unterirdischen Gänge und Kammern verursacht hat, kann wohl nur aus religiösen Beweggründen erklärt werden.

Karl Schwarzfischer, Zur Frage der Schrazellöcher oder Erdställe. Schriftliche Zeugnisse, Mythologie, kulturkundlicher Vergleich, Aussage von Ortsnamen, Weiden 1968.

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Erdställe sind unterirdische Gänge, die fast immer das gleiche Muster aufweisen und in einer Spindel enden. Man findet sie nicht nur bei uns, auch im Westen, etwa in Frankreich. Sie wurden als Unterschlupf der Bewohner bei feindlichen Einfällen gedeutet. Die Gänge sind oft so niedrig, daß vermutet wurde, die Menschen seien früher kleiner gewesen. Es müßten wohl Zwerge gewesen sein. Karl Lechner hat mir einmal zugeflüstert: "Die Erdställe scheinen doch älter zu sein." Für ihn begann die Zeit, wie ich scherzhaft zu ihm sagte, mit den Babenbergern. Im vorigen Jahrhundert, als die Erdställe entdeckt wurden, vermutete man in ihnen Kultstätten, heute ist man wieder dieser Meinung. Die Spindel und die Sitze erinnern sehr stark an die entsprechenden riesigen Bauten in Malta.......Erdstall in der Kirche von Kleinzwettl. Der Einstieg ist mitten in der Kirche. Man hebt eine Platte und steigt hinunter. Das ist ein stark strahlender Platz......Ich halte die Erdställe für unterirdische Kulträume, die aus vorgeschichtlicher Zeit stammen......Die Spindel der Erdställe, die an die Megalithbauten in Malta, das Hypogäum, erinnert, ist nicht zu erklären. Zweifellos hat man hier Kontakt mit den Toten gehabt und die Erdmutter verehrt. Es waren Meditationsplätze; wir denken an den Ursprung der Krypten.

Franz Jantsch, Kultplätze im Land um Wien, Unterweitersdorf 1993, S. 100-102

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Solche unterirdische Gangsysteme werden Erdställe genannt. In Österreich gibt es sie hauptsächlich im Wein-, Wald- und Mühlviertel, und sonst sind sie auch noch in Süddeutschland und in der Tschechoslowakei, in Frankreich und Spanien feststellbar. Und es sind noch immer alle Fragen über ihren Sinn und Zweck offen..............Tatsache ist nun, daß diese Erdställe für einen längeren Aufenthalt durchaus nicht geeignet sind. Nach dem Durchschliefen der oft nur dreißig Zentimeter hohen Röhren (in denen schon viele Erdstallbesucher die Platzangst packte!) gelangt man in Kammern, in denen man weder stehen noch ausgestreckt liegen kann. Auffallend ist außerdem, daß der Grundriß der österreichischen Erdställe auch dem der Erdställe im fernen Frankreich und Spanien gleicht und daß es hier wie dort die sogenannten "Spindeln" gibt. Das sind kleine Rundgänge, von denen behauptet wird, daß sie den Feind in die Irre führen sollten. Da sich aber diese Spindeln meist am Ende des Erdstallsystems befinden und außerdem in wenigen Sekunden durchschritten sind, paßt diese Erklärung ganz und gar nicht. Diese "Spindeln" sind ein Faktum, das von den Vertretern der "Fluchtstättenhypothese" noch viel zu wenig beachtet wurde.......So gibt es um das "Rätsel der Erdställe" noch etliche offene Fragen, und leider äußern sich oft auch Leute darüber, die selber noch nie in einen Erdstall hineingekrochen sind........Zu unserem Erdstall von Kleinzwettl: Er ist einer der schönsten Österreichs. Daß er als Versteck angelegt wurde, erscheint etwas unwahrscheinlich, weil er hauptsächlich nur aus engen, vielfach gewundenen Schliefröhren besteht. ......Und wenn das Durchschliefen auch ein bisserl mühsam ist, so hat es doch auch seinen eigenen Reiz, man läßt das Heute weit hinter sich.

Karl Lukan, Das Waldviertelbuch. Kulturhistorische Wanderungen, 5. Aufl. Wien 1995, S. 198-201

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.......daß führende Archäologen Österreichs mit diesen Objekten konfrontiert wurden und daher eine mögliche zeithistorische Eingrenzung anbieten mußten. ....Vereinzelte Funde (spät-)mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Tongefäße und auch Gerätschaften geben über die Benützungsphasen Auskunft. Die Errichtungszeit ist jedoch nur schwer feststellbar, kann aber weit vor den relativ jungen Relikten der Schlußverwendung liegen......Wesentliches Element der modernen Datierung von solchen unterirdischen Anlagen stellen die archäologischen Befunde dar. Sie stehen im Zusammenhang mit einem datierbaren Bau- oder Grabungsbefund. Als einige mögliche Beispiele sollen die Grabungen am Gaiselberg in Niederösterreich 1973, die Ergebnisse der Dorfwüstung Hard (NÖ), die Gesamtaufnahme der Wehranlage von Kleinzwettl im Bezirk Waidhofen an der Thaya (NÖ).....genannt werden. Der Ausgräber der Hausberganlage Gaiselberg......stellt den zeitlichen Rahmen der Errichtung des dabei aufgefundenen Erdstalls in Korrespondenz mit der Burganlage und vertritt die Meinung, daß dieser während der 2. Bauetappe um 1240 errichtet wurde......Die Grabungen in der Wüstung Hard stellten in Zusammenhang mit der abgekommenen Siedlung den Erdstall in einen Zeitraum zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert.........In den meisten Erdställen befinden sich kleine Ausnehmungen in den Stollenwänden. Es handelt sich dabei vorwiegend um Licht- oder Lampennischen, wobei auch Sonderformen, wie Verschluß- oder Riegelnischen vorkommen können. In der älteren Literatur.....findet sich neben diesen Bezeichnungen auch der Terminus der Tastnischen oder Tastluken. Dieser ist jedoch aufgrund der Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte abzulehnen......muß für den allgemeinen Vortrieb der Stollen mit einem Geleuchte aus Kienspänen gerechnet werden.....Damit die Stollenbewetterung (Frischluftversorgung) ihre Aufgabe erfüllen kann, muß ein ununterbrochen fließender Wetterstrom erzeugt werden....man kann sehr einfach und ohne viel Aufwand in Untertageanlagen einen natürlichen Umluftstrom erzeugen. Er entsteht durch einen Höhenunterschied zwischen zwei Schachtöffnungen. Für das Überleben ist es wichtig, daß alle Stollen gleichmäßig bestrichen werden.....Der Luftstrom wird zunächst von der Erdoberfläche aus zur tiefsten Sohle geleitet. Von da wird er durch verschiedene Teile der Anlage aufwärts bis zur Tagöffnung des ausziehenden Schachtes geführt. Dabei verlegt man dem Wetterstrom bestimmte Wege durch Wettertüren oder Wetterschleusen und gibt ihm andere frei....Entspricht eine Tagesleistung "Vortrieb" im harten Gestein bei zwei Mann im Stollen nur maximal einen Zentimeter, kann mit dem gleichen Personalaufwand in tertiären Sanden durchaus zwischen 15 und 20 cm geschafft werden........Althöflein weist zwei Werkzeuggruppen beim Stollenausputz auf. Es handelt sich bei diesen um schmale rechteckige Harken und schaufelblattförmige Werkzeuge.....Das Kernwerk der Hausberganlage von Althöflein weist derzeit noch vier größere Erdstallsysteme und eine Erdstallkammer auf. .....Erdstall Nr. 3 kann nur von schlanken Personen über eine Leiter befahren werden. Leider müssen die schönsten Erdstallobjekte, das System Nr. 2 und Nr. 4, als hochgradig gefährdet angesehen werden. Eine Befahrung dieser durch Schaulustige ist strikt abzulehnen....Für Althöflein konnte......aus dem montanen Bereich ein kompliziertes und geplantes Belüftungssystem nachgewiesen werden. Zu den primären Teilen des Belüftungssystems gehören mehrere allseits bekannte vertikal angelegte Luftröhren. Der Fachbegriff dafür lautet Vertikalbewetterungen. Sie werden im Volksmund auch Dampfröhren oder - luken genannt. In Kombination zu diesen stehen stollenverbindende horizontal geführte Wetterlutten (Röhrensysteme).....Zum Gesamtkonzept der Bewetterung gehören auch Wetterschleusen. Einen gesicherten Nachweis dafür konnte durch die Auswertung der Verschlußnischen erbracht werden.......Die Größe und Planungsstruktur (der Althöfleiner Anlage) auf nachweislichen fast 900 m2, die im Primärbau als zweietagig anzusprechen war, erlaubt einen wesentlich größeren Aussagewert als durchschnittliche Erdstallanlagen mit nur 20 oder 30 Meter Lauflänge......Es liegt....die Vermutung nahe, daß der hauptsächliche Zweck solcher Stollen und Kammerkombinationen in der Bevorratung oder Lagerhaltung zu suchen wäre......Die derzeitige Zeitstellung basiert auf der Forschungsmeinung von Josef Weichenberger, der die Szene der österreichischen Erdstallforschung in den letzten 15 Jahren prägte. Er vertritt die Ansicht, daß als gesicherte unterste Grenze für die Funde in den österreichischen Erdställen das 11. Jahrhundert angegeben werden kann.

Manfred Macek, Überlegungen zum Erdstallproblem in Österreich am Beispiel der Hausberganlage von Althöflein in Niederösterreich. Studie zur Dokumentation, Bauweise, Bewetterung, Funktion und Datierung, ungedruckte Diplomarbeit am Institut für Ur- und Frühgeschichte Wien 1997/98

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Erdställe: Rätselhafte Ganganlagen unter der Erde.
Bisher wissenschaftlich keine Erklärungen über Sinn und Zweck dieser kuriosen, labyrinthartigen Ganganlagen. Im Waldviertel sind bisher mehr als 30 dieser rätselhaften Gänge bekannt. Die Form der Grundrisse ähnelt interessanterweise den Kornkreisen, deren Herkunft ebenfalls ungeklärt ist. Erdställe sind meist Gänge, die in Form mehrerer Ebenen und Kammern angelegt wurden. Die Verbindungsgänge sind oftmals so eng, daß ein Mensch kaum durchkriechen kann. Ein Spezifikum der Waldviertler Erdställe ist ein Rundgang (kreisrund oder Form des Pentagramms), der auf kultisch - rituellen Hintergrund deutet. Die Gänge sind im Löß und im Granit wunderschön herausgearbeitet. Da sich die Theorie, daß diese Anlagen für Kriegsfälle als Zufluchtsorte gedacht waren, aufgrund der Anordnung, die das Ausräuchern leicht gemacht hätte, nicht erhärten ließ, ist Sinn und Zweck bisher ungeklärt.

Rupert Leutgeb

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Kultische Verwendung für Erdställe?

...Eine "praktische" Verwendung der Erdställe, gleich welcher Art, erscheint nach heutigem Kenntnisstand ausgeschlossen. Es bleiben kultische Beweggründe, die die vielen hundert Erdställe entstehen ließen......entspringt die geistige Haltung, die eine so große Zahl eigenartiger Anlagen entstehen ließ, der gleichen religiösen Quelle, die die gewaltigen Dome schuf? Oder war es eine überlieferte Glaubensform aus der Zeit vor der Christianisierung, die hier in angepaßter Form einen letzten unterirdischen Höhepunkt erreichte?....Welchen kultischen Zweck könnten die Erdställe gehabt haben?

Labyrinthe

Die labyrinthischen, mit vielen sich verzweigenden, auch kreuzenden und immer unübersichtlichen Gängen geschaffenen Erdställe veranlassen dazu, das "Labyrinth" und die mit ihm verbundene geistige Welt als Denkansatz in die Reihe möglicher Lösungen, oder besser gesagt, Lösungsansätze zu stellen. Hinzu kommt beim Erdstall die Erweiterung des Verwirrenden durch eine neue Dimension: das nach unseren heutigen Vorstellungen ebene Labyrinth, dem "Irrgarten" so eng verwandt, geht als Erdstall durch enge Schlupfröhren in die Tiefe oder in die Höhe, in eine andere Ebene also, gestaltet nach den für uns nicht mehr und immer noch nicht wieder nachvollziehbaren Gedanken ihrer Erbauer. Labyrinthe sind genau so "nutzlos" wie Erdställe, ohne jeden erkennbaren praktischen Zweck.....Sind unsere Erdställe Abkömmlinge oder Verwandte des Labyrinths?

Krankheitsmagie

Weitere Überlegungen sollten um die ungewöhnlich engen Durchschlüpfe oder Schliefgänge kreisen, die als charakteristische Baumerkmale die Erdställe von allen anderen unterirdischen Bauten unterscheiden......wo finden wir ähnliche Erscheinungen und welchen Sinn haben diese? ....den alten Volksbrauch des Durchkriechens oder Durchziehens an bestimmten Orten, um einen Kranken von seinem Übel zu befreien. Hier finden wir den Gedanken des Abstreifens als Analogiezauber, um die Krankheit auf ein fremdes Medium zu übertragen. Aus dem 9. Jahrhundert, wohl eher zufällig nahe dem vermuteten Beginn der Erdstallzeit in Oberösterreich, gibt es in einem kirchlichen Bußbuch eine bemerkenswerte Strafandrohung:
Wenn jemand für die Gesundheit des Söhnchens durch ein künstliches oder natürliches Erdloch kriecht, und dieses hinter sich mit Dornen verschließt, soll er 40 Tage bei Brot und Wasser büßen. Im 11. Jahrhundert rügt Burchard von Worms ebenfalls diesen Brauch:
..du hast getan, was gewisse Frauen zu tun pflegen, nämlich jene, die wimmernde Kinder haben, graben die Erde auf und durchlöchern sie zum teil und ziehen das Kind durch jenes Loch und sagen, daß so das Wimmern des Wimmernden aufhört. Ähnliche Bräuche haben sich bis heute erhalten. Im Mühlviertel besitzt der Wunderstein von St. Thomas am Blasenstein die Kraft, verschiedene Krankheiten zu heilen, wenn man durch seinen schmalen Spalt ("Bucklwehlucken") schlüpft. .....Zitate und Brauchüberlieferungen beweisen nicht direkt, daß Erdställe als eine Art unterirdisches Rehabilitationszentrum zu deuten seien. Es stimmt jedoch nachdenklich, daß in vielen Erdställen die engen Durchschlüpfe durch häufiges Benutzen fast blank poliert wirken.....

Wiedergeburtsmagie

Die ungemein engen Durchschlupfe in Erdställen, in der "Mutter Erde", bieten Bezugspunkte zur Magie von Tod und Wiedergeburt. Höhlenmagie finden wir bereits an den ältesten Wohnplätzen im Jungpaläolithikum, in Kulthöhlen Frankreichs und Spaniens......Warum soll sich der Mensch nicht dort, wo er keine Naturhöhlen als Kultplatz fand, seine besonderen Orte der Einkehr und Besinnung geschaffen haben?...Der Weg von der Naturhöhle über die künstliche Höhle zum Kult unter freiem Himmel und zum späteren Kultbau auf der Erde ist besonders deutlich in griechischer Mythologie und Geschichte nachvollziehbar.....Der Weg ins Innere der Erde, zurück in ihren "Schoß", dabei in den engen Schlüpfen alles Böse und Belastende abstreifend, in einer der kleinen Kammern, vielleicht der letzten, am schwierigsten zu erreichenden, gekrümmt, gebückt in embryonaler Lage die Vision der vollständigen Wiedergeburt erträumend, dann dem "Leib der Erde" mühsam entsteigend, wiedergeboren, seelisch neugeboren ans Licht des Tages zurückgekehrt, finden wir mit diesen Überlegungen die geistige Welt, die unter unbegreiflicher Mühsal die Erdställe entstehen ließ?

Totenkult

...Die Erde als Spenderin des Lebens, die es nach seinem Ablauf wieder in ihren Schoß zurücknimmt, könnte in ihr, in einer natürlichen oder künstlichen Höhle, nicht ein ganz selbstverständlicher Ort der Totenverehrung und -erinnerung zu finden sein? Die Höhle kann gleichzeitig Mutterschaft und Grab bedeuten. .....Schwarzfischer deutet die Erdställe als Wohnung der Toten. Die dauernde Verbindung der Toten mit dem Haus der Lebenden, die so wichtige räumliche Nähe, war für die ersten Siedler der neuen Rodungsgebiete durch den Fortzug vom alten Wohnsitz verloren. Aus dem Gedanken, daß Erdställe als Leergräber für die zurückgebliebenen Toten zusammen mit dem neuen Haus entstanden, um diese als Beschützer der Familie zu erhalten, datiert Schwarzfischer den Beginn des Erdstallbaues: Verständlich wird, warum sich nur in der Ursiedlung der jeweiligen Siedlungsperiode Erdställe finden. Diese Siedler benötigten Leergräber für die Seelen der zurückgelassenen Toten, nicht aber ihre Nachfahren, denn diese hatten ihre Toten wieder bei sich. Darum können nach Abschluß der Besiedlung auch keine Erdställe mehr glaubhaft gemacht werden.

Aus: Hans Falkenberg, Die Erdställe. Zwischenbilanz einer rätselhaften Unterwelt in Oberösterreich, in: Oö. Heimatblätter 36 (1982), Heft 3/4, S. 179 - 216.

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